Buchrezension: Túan der Wanderer
Als Aigolf Thuranson in Al'Anfa einen jungen flüchtigen Sklaven vor seinen Häschern rettet, ahnt er noch nicht, dass er in ein viel größeres Abenteuer geraten ist. Auf der Suche nach Túans Heimat und seiner verschleppten Mutter müssen die beiden ungleichen Gefährten halb Aventurien durchqueren, stachelige Löwen bekämpfen und widerspenstige Diebinnen befreien. Die vier Helden und der Schelm haben sie dabei begleitet.
Der Hintergrund
Wir schreiben das irdische Jahr 1995. DSA-Mitbegründer Ulrich Kiesow hat gerade mit Der Scharlatan den ersten Roman der neuen DSA-Reihe bei Heyne veröffentlicht. Die zweite Person, die sich mit einem Roman verewigen durfte, war eine Autorin, die mit DSA eigentlich nichts zu tun hatte. Uschi Zietsch hatte nur, wie es der Zufall wollte, auf der Frankfurter Buchmesse ihren Stand direkt gegenüber von FanPro-Mitbegründer Werner Fuchs. Die beiden kamen ins Gespräch, Fuchs erzählte, dass er Autoren für eine neue Fantasy-Buchreihe suchte, und so führte eins zum anderen. Das Resultat sind die beiden Thuranson-Romane Túan der Wanderer (den wir uns hier vornehmen) und Der Drachenkönig (den wir uns für später aufheben).
Die Geschichte
Aigolf Thuranson ist ein bornländischer Abenteuer, wie er im (Grundregelwerk-)Buche steht. Er ist kampferprobt, weitgereist, hat in jeder Stadt Kontakte, weiß sich selbst zu helfen. Fremde lässt er nicht an sich heran, anscheinend hat er schlechte Erfahrungen gemacht, über die er nicht gerne redet. Eines wird jedoch schnell klar: Aigolf Thuranson mag keine Sklavenhändler! Er jagt und tötet sie, wo er sie finden (und auf eine halbwegs sichere Flucht hoffen) kann. Sklavenjäger haben seinen Bruder auf dem Gewissen - und das wird er ihnen niemals verzeihen.
Wenn man sich Pferde dazudenkt, würde das Titelbild sogar zur Geschichte passen |
Als er in Al'Anfa Zeuge der Jagd auf einen fliehenden Sklaven wird, zögert er nicht lange und eilt dem Jungen zu Hilfe. Zahlreiche leblos am Boden liegende Sklavenjäger später sind Aigolf und sein neuer Begleiter Túan, der Moha-Junge, auf der Flucht, Da Aigolf gerade nichts Besseres vorhat, bringt er Túan schnell wieder zurück zu seinem Dschungel-Dorf, nur um festzustellen, dass Túan dort als Verstossener gilt und nicht mehr geduldet ist.
Also machen sich Moha und Bornländer auf, um Túans ebenfalls von Sklavenhändlern entführte Mutter zu finden, und nebenbei über Freundschaft, Geheimnisse und Moral zu philosophieren. Durch die unendliche Weite der Khom, den Raschtulswall und Punin führt sie ihr Weg schließlich in den Kosch, wo es zum finalen Showdown mit den Entführern kommt. Ach ja, nebenbei wird noch eine freche Diebin aufgegriffen, hinter der sich noch mehr verbirgt, als es im ersten Moment scheint. Was steckt hinter Túans merkwürdiger Höhenangst und seinem Jaguar-Mal am Kopf? Warum ist er von seinem Stamm verstoßen worden, und wer sind die Häscher, die Jagd auf ihn machen? Und warum spricht der Dschungel-Junge so verdammt gut Garethi? Fragen über Fragen, die erst am Ende der Reise beantwortet werden...
Das Urteil
Wer sich auf Wiki Aventurica die Bewertungen zu Túan der Wanderer durchliest, wird feststellen, dass die Meinungen zum Roman weit auseinandergehen. Während viele anscheinend Spaß am lockeren Schreibstil und der seichten Geschichte hatten, werfen andere der Autorin vermutlich nicht zu Unrecht vor, einfach keine Ahnung von Aventurien zu haben und eine belanglos generische, in einer beliebigen Fantasy-Welt verortbare Geschichte erzählt zu haben.
Es mag sein, dass in Uschi Zietschs Buch nicht viele Details zum aventurischen Leben, zu den lokalen Eigenheiten, zu Kulturen und Sprachen vorkommen. Und das ist natürlich insbesondere in Anbetracht der potentiell spannungsgeladenen Konstellation zwischen einem bornischen Abenteurer und einem mutmaßlich im Dschungel aufgewachsenen Moha sehr schade. Zum einen lässt sich der fehlenden Kulturschock aber durch die Biographie der Protagonisten erstaunlich gut begründen (für weitere Details empfehle ich die Selbstlektüre des Romans), zum anderen kann ich Frau Zietsch ob ihres angenehmen Schreibstils - insbesondere nach Lektüre des unsäglichen Machwerks Das eherne Schwert - keinen großen Vorwurf machen, weil ich weiß, dass alles viel schlimmer sein könnte.
Klar, Aigolf Thuranson ist eher Superman als herumstreunender Abenteurer. Alle seine Pläne gehen stets auf, er scheint alles und jeden zu kennen, ist im Kampf unbesiegbar, und bei seiner Namenswahl scheinen seine bornischen Eltern wohl irgendwie an die falsche Seite des Kontinent geraten zu sein. Túan spricht wie ein Kaufmanns-Sohn, beherrscht blind den Hruruzat, ergeht sich in philosophischen Diskussionen mit seinem Mentor. Das alles fühlt sich irgendwie nicht richtig an - und trotzdem kann ich den sympathischen Charakteren nicht einen Moment böse deswegen sein. Ich folge ihnen gerne durch Aventurien, freue mich über ihre Erfolge und die netten Zufallsbegegnungen, die ihnen auf ihrer Reise zur Seite stehen. Das alles mag nicht immer regeltechnisch korrekt sein (ich schaue dabei auf Dich, eine Kampfrunde dauernder Zweikampf gegen einen Mantikor) oder für unser heutiges Aventurien-Verständnis stimmig sein - aber das war Silvanas Befreiung auch nicht, und trotzdem hat sie Generationen von Spielern viel Spaß bereitet.
Insgesamt lautet mein Fazit: Wer kein Regel-Nazi und Hintergrundwelt-Pedant ist, wer über diverse arg konstruierte Zufälle (die Diebin) und unlogische Verhaltensweisen (die Befreiung der Diebin) hinwegsehen kann, wer einfach nur ein paar Tage mit einer gradlinigen Geschichte in einer generischen Fantasy-Welt mit einem semi-überraschenden Finale zu verbringen bereit ist, wird mit Túan und Aigolf durchaus Spaß haben können. Und alle anderen sollten lieber weiter Fehler im DSA5-Regel-Wiki suchen gehen...
Es gibt Fehler im DSA5 Regelwiki? OmG!
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