Hörspiel: Im Reich des Nekromanten

Wenn eine Handvoll zusammengewürfelter Gestalten in eine von Untoten besetzte Burg in der Warunkei einzudringen gedenkt, wenn weise Lehrmeister und um ihre Erbschaft gebrachte Adelssöhnchen in Gareth um ihr Leben intrigieren müssen, und wenn die Vier Helden und der Schelm gebannt vor dem Lautsprecher hängen, dann ist wohl wieder Zeit für eine neue DSA-Hörspielfolge. Folgt uns ins Reich des Nekromanten!

Die Ausgangslage

Ganze vier Folgen lang haben wir nun schon die Abenteuer um den widerwillig als Abenteurer umherziehenden Zwerg Gundar Gemmenschneider und seine Truppe auf ihrem Weg Richtung Warunkei verfolgt. Und auch wenn es so manches Mal gefährliche Hindernisse wie Gardisten, Räuber, Kultisten und Meuchler zu überwinden galt, haben es unsere fünf Helden geschafft, immer tiefer in die noch immer von den Heptarchen besetzten Schwarzen Lande des Jahres 1027 BF vorzudringen.

Zwerg Gundar, Auelf Filoen, Thorwaler Hothar, Streunerin Alinne und Kriegerin Leonida von Beilunk müssen sich im Auftrag des um seine Erbschaft gebrachten Adelsspross Lares vom Weißen Turm zu eben jenem durchschlagen, um das Schwert und den Siegelring der Familie an sich zu bringen und so Lares zu seinem Erbe zu verhelfen und ihre Schuld für die Befreiung aus dem Kerker von Gareth zu tilgen.

Gleichzeitig sitzt Lares greiser Mentor Sardos in Gareth im Kerker, fälschlich beschuldigt, eine Schankmagd ermordert zu haben, die seinen Schützling zu vergiften versucht hatte. Urheber dieser falschen Anschuldigung ist Sardos alter Freund und jetziger Gegenspieler Beltram von Lauterfurt. Doch steckt er auch hinter dem Anschlag auf Lares? Oder war es der geheimnisvolle Dexter von Crumold, der sein eigenes dunkles Spiel zu spielen scheint?

Nun, da sie die Reise von Gundar und die erste Staffel der Hörspielreihe ihrem Ende nähern, können wir sicher mit einigen Antworten auf unsere Fragen rechnen.

Die Geschichte

Da liegt er also vor ihnen: Der lang gesuchte Weiße Turm, Heimat der altehrwürdigen Türmer, und vermuteter Aufenthaltsort der verlorenen Familieninsignien. Grund zur Freude für unsere fünf Freunde - wären da nicht die unzähligen Untoten, die die Festungsanlage und ihre Umgebung bevölkern. Bei diesem grausigen Anblick bekommt es selbst der sonst so mutige Hothar mit der Angst zu tun, und als sie schon fast aufgeben wollen, ist es Zwerg Gundar, der mit einem waghalsigen Plan an den Untoten vorbeigelangen will.

Während Filoen und Hothar sich auf den Weg machen, um die für Gundars Unterfangen benötigten... "Utensilien" zu beschaffen, bekommt Sardos in seiner Gefängniszelle unerwarteten Besuch von seinem Schützling Lares. Die Zeit bis zum morgigen Prozess läuft ihnen davon, und beide sehen keine Möglichkeit mehr, Sardos Unschuld zu beweisen. Doch der junge Adeliger will nicht aufgeben, und macht sich auf, jemandem einen Besuch abzustatten...

Gundars Plan, so irrwitzig er auch erscheinen mag, ist von Erfolg gekrönt, und so können sich die Gefährten ins Innere der einst prächtigen Burganlage durchkämpfen. Endlich erreichen sie den Festsaal, wo die sterblichen Überreste von Lares Vater, Jangorn vom Weißen Turm, bereits auf sie warten.

In Gareth grübelt Beltram von Lauterfurt noch über den Verbleib seines Söldners Istav, und ob er die Gruppe um Alinne vielleicht doch unterschätzt hat, als er plötzlich eine unerwartete Begegnung hat...

Konfrontiert mit einem schier übermächtigen Gegner müssen unterdessen die Gefährten um ihr Leben kämpfen, und insbesondere Leonida von Beilunk wird vor eine schwere Prüfung gestellt. Wird sie es schaffen, die Schatten der Vergangenheit abzustreifen? Werden die Helden gegen die furchtbare Macht bestehen können? Und werden sie alle mit dem lang gesuchten Ring den Rückweg antreten?

Die Technik

Gute 52 Minuten später, als die inzwischen wohlvertraute Abschlussmelodei erklingt, sind viele Fragen beantwortet, während einige neue Fragen auf eine Antwort im großen Finale warten. Wie immer ist die Zeit wie im Fluge vergangen, und ebenso gewohnt sind wir es mittlerweile, dass die Geschichte technisch ein Genuss ist. Da schlurfen Untote mit schmatzenden Geräuschen vorbei, der Wind heult bedrohlich, die Türen knarren ominös. Atmosphärisch ist das Eindringen in die untotenverseuchte Festung eines der Highlights der Serie, und selbst die im Hörspiel eher schwierig umzusetzenden Kampfszenen kommen glaubhaft rüber.

Das CD-Cover, erneut von Flavio Bolla gezeichnet, zeigt zwei wunderbar düstere Festungen, die von schemenhaft blauen Geistererscheinungen umrundet werden, und die in ihrer gewaltigen Größe und Unbezwingbarkeit dem Betrachter unzweifelhaft vermitteln: Hier reinzukommen wird nicht einfach! So toll das Bild für sich aber auch ist, so ärgerlich ist es dann auch, wenn es so manche Diskrepanz zur Geschichte gibt. Warum sind da zwei Festungen statt des versprochenen einen Weißen Turms? Warum sieht man Geistererscheinungen anstelle von schlurfenden Untoten? Auch wenn das Gemälde offensichtlich nicht extra für das Hörspiel gemalt wurde - es weiß mir trotz allem sehr zu gefallen.

Ich kriege Lust, mal wieder Taran und der Zauberkessel zu kucken!

Die bekannte Sprecherriege rund um Damitz, Off, Dux und Konsorten erhält diesmal Verstärkung von Frank Otto Schenk, der unter anderem als deutscher Sprecher von Gustavo Fring in Breaking Bad bekannt sein dürfte. Seine Rolle hier ist etwas undankbar, da er einen etwas besserwisserischen, fanatisch brüllenden, wütend geifernden Jangorn sprechen muss, der überdies von blechernen Echo-Effekten entstellt wird. So ganz überzeugend konnte mich der Charakter nicht. Aber ich gebe zu, dass der hier dargestellte Jangorn vom weißen Turm auch einer der eher schwer zu vermittelnden Charaktere sein dürfte.

Ansonsten gibt es technisch nichts zu meckern: Das hohe Niveau der Vorgängerfolgen kann mühelos gehalten werden, und so ist die Erstürmung des Turms die für mich bisher spannendste Folge der ganzen Reihe.

Die Analyse

Doch natürlich bleibt sich die Serie auch inhaltlich treu, indem sie uns DSA-Fans wieder einiges zu bemängeln gibt. Da wäre zum einen die Vorhersagbarkeit: Die Hauptaufgabe im ersten Viertel der Folge ist das Eindringen in den Weißen Turm. Der von Gundar entwickelte Plan, um an den Untoten vorbeizukommen, wäre toll, kreativ, spannend, neu gewesen - wenn er denn zehn Jahre früher gekommen wäre. So dürfte die Szene jedem, der die erste Staffel von Walking Dead gesehen hat (insbesondere Folge 2), mehr als bekannt vorkommen.

Auch weiß Gundar sofort, dass eine Berührung mit dem Blut der Untoten unweigerlich ihren Tod bedeuten würde ("ihr Leichengift wäre für uns absolut tödlich!"). Aber warum? Sicher, Untote können Paralyse, Schlafkrankheit oder Wundfieber übertragen, und mit Ghulgift wäre auch nicht zu spaßen. Aber "absolut tödlich"? Dramaturgisch mag das richtig sein, regeltechnisch ist es mal wieder Mumpitz.

Eine weitere Angewohnheit, die die Hörspiel-Reihe von großen Fernsehserien, namentlich Game of Thrones, ausgeborgt hat, ist die übermäßige Spontansterblichkeit einiger zentraler Charaktere. Grübelt man gerade noch, welche Entwicklungen eine Figur bis zum Ende der Geschichte noch machen könnte, kann sie im nächsten Moment schon tot umfallen. Das sorgt sicherlich für Spannung - aber es bleibt zu hoffen, dass die offenen Handlungsstränge der frühzeitig aus der Serie ausgeschiedenen Figuren in der finalen Folge wieder aufgegriffen und zu einem plausiblen Ende geführt werden. Alles andere wäre etwas unbefriedigend.

Und auch in dieser Folge erweist sich Alinnes Amulett, das sie sich in Folge 2 zurückholte, als der ultimative Deus ex Machina, der den eigentlich dem Tode geweihten Helden in der letzten Sekunde zu Hilfe kommt. Das mag die ersten zwei Male ja noch recht überraschend sein - beim nunmehr x-ten Auftreten spontaner Superkräfte mag sich aber ein leichter Abnutzungseffekt einschleichen. Zumal Alinnes Gefährten erst jetzt, in Folge 5, zu ahnen beginnen, dass das Amulett vielleicht magisch sein könnte.

Dann wäre da noch der übermächtige Endgegner. Wer ist er? Wo kommt er her? Welche aventurische Entität soll er repräsentieren ("ich existiere schon seit Anbeginn der Zeit")? Wenn er schon so alt ist, warum ist er dann immer noch blöd genug, die Helden lange genug leben zu lassen, bis sie sich befreien können? Und warum kann das Amulett plötzlich Köpfe explodieren lassen?

Und überhaupt: Von welchem Nekromanten ist da im Titel eigentlich die Rede? In der Einleitung ist kurz von den Heptarchen berichtet, und wir befinden uns in der Warunkei des Jahres 1027 BF. Ist also Rhazzazor gemeint? Aber warum wird dann nicht mal irgendwo erwähnt, dass der oft genannte Nekromant ein untoter Kaiserdrache ist? Ist das ein unwichtiges Detail? Oder wurde es weggelassen, um den armen überforderten Otto-Normalhörer nicht mit übermäßig fantastischen Setzungen zu konfrontieren?

Sicherlich würden mir noch ein paar weitere Ungereimtheiten einfallen, aber ich denke, der Tenor ist eindeutig: Noch immer ist die Einbindung in aventurische Regelgerüst und Hintergrundwelt das Hauptproblem der Reihe.

Das Fazit

Auch wenn viele eingefleischte DSA-Fans die aufgezählten Mängel als K.O.-Kriterium werten dürften, ist es für mich schwer die Serie zu verdammen. Denn ich muss zugeben: Ich mag sie sehr! Ich mag die stereotypen Charaktere. Ich mag die Dialoge. Ich mag die Atmosphäre. Ich mag die tolle Technik, die großartigen Sprecher. Ich mag die Geheimnisse, die sich hinter den einzelnen Charakteren verbergen. Und ja, ich mag auch die trashige Zombiefilm-Stimmung, die sich das ein oder andere Mal einzustellen versucht.

Die Geschichte weist wieder einige schöne Wendungen auf, die zwar im Nachhinein offensichtlich sind, die ich aber im entsprechenden Moment nicht erwartet hatte. Ohne allzu viel zu spoilern, darf erwähnt werden, dass die fünf Helden nicht zufällig zusammengewürfel wurden. Auch einzelne Figuren wissen zu überraschen: Während in den vorherigen Folge hauptsächlich Alinne eine charakterliche Entwicklung durchlaufen durfte, ist es diesmal Leonida, die ein wenig hinter ihre tugendhafte Fassade blicken lassen muss. So gewinnen die in der ersten Folge noch arg platten Charaktere nach und nach an Tiefe, und auch Nebencharaktere wie Lares und Beltram machen im Laufe der Serie unerwartete Entwicklungen durch. Andere Charaktere, wie Gundar, Filoen und insbesondere Hothar, wirken hingegen immer noch platt wie in der ersten Folge, und es bleibt abzuwarten, ob sich auch hier bis zum Finale der kommenden sechsten Folge noch einige Überraschungen ergeben.

Wenn ich meine Hörerfahrung quantitativ bewerten müsste, würde ich sie mit 85% Hörspaß und 15% Frustration aufgrund der Widersprüche zum aventurischen Kanon zusammenfassen. Und wieder einmal stellt sich die Frage, wie toll die Serie hätte werden können, wenn ein paar fähige DSA-Redakteure oder -Fans einmal Hand an das Drehbuch gelegt hätten.

So aber bleibt uns nur zu hoffen, dass mit Staffel 2 und 3 alles besser werden wird. Und dass die voraussichtlich am 09. Juni 2018 erscheinende letzte Folge der ersten Staffel, Kampf um die Macht, all die losen Handlungsfäden zu einem mitreißenden, spannenden und furiosen Finale führen kann.

Zu gönnen wäre es der grundsätzlich tollen Serie allemal. Und die vier Helden und der Schelm werden im Finale in jedem Fall wieder dabei sein!

Das Hörspiel "Im Reich des Nekromanten" ist als CD oder MP3-Download direkt bei den WinterZeit Studios oder im gut sortierten Multimedia-Fachhandel erhältlich.

Kommentare

  1. "Auch weiß Gundar sofort, dass eine Berührung mit dem Blut der Untoten unweigerlich ihren Tod bedeuten würde ("ihr Leichengift wäre für uns absolut tödlich!"). [...] Dramaturgisch mag das richtig sein, regeltechnisch ist es mal wieder Mumpitz."

    Stimmt, aber Gundar kennt das Regelbuch nicht. Die Aussage stammt aus seiner "ingame"-Charakterperspektive. Da ist es gut möglich, dass er glaubt, dass Zombieblut tödlich ist.


    "Der von Gundar entwickelte Plan, um an den Untoten vorbeizukommen, wäre toll, kreativ, spannend, neu gewesen ..."
    ... und hätte funktioniert, wenn aventurische Untote die Welt mit ihrem Geruchssinn wahrnehmen würden. Es gibt übrigens eine Buchserie (Lost Land), in der es Kadeverolin gibt, eine Flüssigkeit,mit der sich Zombiejäger einreiben, um den Geruch von Zombies anzunehmen. Ich weiß leider nicht, ob die jünger oder älter als "The Walking Dead" ist.


    "Dann wäre da noch der übermächtige Endgegner. Wer ist er? Wo kommt er her? Welche aventurische Entität soll er repräsentieren ("ich existiere schon seit Anbeginn der Zeit")?"

    Auch hier muss man wieder "ingame" und "offgame" unterscheiden. Die Helden haben nicht genug Magiekunde, um das Wesen zu idenfizieren. Der Hörer mit DSA-Kenntnis kennt das Vieh zwar auch nicht, aber Dämonen gibt es bekanntlich unendlich viele, auch wenn nicht viele so dick auftragen.



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    1. Danke für die ausführlichen Anmerkungen. Ja, man kann natürlich alle von mir kritisierten Punkte irgendwie erklären - aber worauf ich hinaus will ist ja wie immer, dass derartige nachträgliche Erklärungsversuche in einem wirklich guten und sauber redaktionell redigierten Skript gar nicht erst nötig sein müssten.

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    2. Ich verstehe, worauf du hinaus willst. Aber nicht alles, was man für einen Fehler hält, ist auch einer. Man muss m.E. unterscheiden, ob man eine Infomation von einem Charakter bekommt oder vom Erzähler. Charaktere können sich aufgrund ihres begrenzten Wissens, ihrer Vorurteile oder ihres Aberglaubens irren. Deswegen kann Gundar auf die Idee mit dem Zombieblut kommen. Dass sie funktioniert, ist dagegen Murks, weil es gegen eine objektive Satzung verstößt.

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