Rezension: Die Elfe vom Veitner Moor

Tatort Köln, Tatort Hamburg, Tatort Münster, Tatort München, Tatort Wien - und jetzt Tatort Abilacht? Statt Ballauf und Schenk, Thiel  und Boerne, Batic und Leitmayr kommen jetzt Ayla und Saliniome? Der Schelm ist mit den beiden untypischen aventurischen Kommisarinnen auf Spurensuche gegangen, um hinter das Mysterium der Elfe vom Veitner Moor zu kommen. Ob der bei Fanpro erschienene literarische Kriminalfall von DSA-Debutautorin Katja Angenent erfolgreich gelöst wurde oder besser ungelesen zu den Akten gelegt werden sollte, erfahrt Ihr hier.

Die Geschichte

Ayla saba Nasreddin hasst ihren Job! Aufgewachsen in den kultivierten und schönen Tulamidenlanden, hat das Schicksal sie ausgerechnet in das triste und bäuerliche Abilacht verschlagen, wo sie als Hauptfrau der Stadtgarde häufiger gegen Langeweile als gegen Verbrecher kämpft. Als im Veitner Moor nahe der Stadt die Leiche einer Elfe gefunden wird, ist das für sie eine willkommene Abwechslung. Wer mag die Unbekannte gewesen sein? Niemand scheint sie zu vermissen, es gibt keine Hinweise auf einen Täter, und sogar ihr Vorgesetzter fordert sie auf, die Nachforschungen fallen zu lassen. Und damit könnte einer der interessantesten Fälle der jüngeren Abilachter Kriminalgeschichte auch schon wieder zu Ende sein...

Doch dann ist da plötzlich diese Zeugin! Als Elfe Saliniome Morgenröte plötzlich in Aylas Büro auftaucht, und von ihren Beobachtungen berichtet, wird allmählich klar, dass mehr hinter der Geschichte der toten Elfe steckt, deren Anfänge außerhalb Abilachts zu finden sind. Und so macht sich das ungleiche Ermittlerpärchen Ayla und Saliniome auf die Reise, um den Mörder der Elfe zu finden, und dabei eine Verschwörung aufzudecken, die nicht nur ihrer beider Leben bedrohen, sondern auch das Schicksal Albernias gefährden könnte!

Das Buch

Die Elfe vom Veitner Moor ist nach Da'Jin'Zat der zweite Roman, der in Kooperation von Fanpro (dem Verlag von DSA-Pionier Werner Fuchs) und dem Blitz-Verlag in der Reihe Rocket Books veröffentlicht wurde. Gleichzeitig ist es der Debutroman von Autorin Katja Angenent, die bei einem Moorspaziergang mit ihrem Mann die Idee zu einem "aventurischen Tatort" entwickelte. So ist das namensgebende Veitner Moor auch eine Hommage an das münstersche Venner Moor, das als Inspiration diente. Wer das Veitner Moor nun also auf einer aventurischen Landkarte zu finden hofft, muss sich indes eines der bei Abilacht gelegenen unbeschrifteten Moorgebiete aussuchen.



Das Buch kommt erneut als schön gebundenes, mit Klappbroschur versehenes DIN A5-Taschenbuch daher, und passt damit vom Format her perfekt zu den aktuellen Ulisses-DSA5-Romanen. Das Cover wurde vom erfahrenen DSA-Illustratoren Tristan Deneke erstellt, der mit der im brackigen Wasser treibenden spitzohrigen Frau sogleich spoilert, dass die namensgebende Elfe nicht die Protagonistin sondern das Opfer dieser Kriminalgeschichte darstellt. Das Titelbild fängt gut die trübe albernische Stimmung ein, und weiß zumindest mir damit sehr viel besser zu gefallen als das etwas merkwürdige Gemälde eines barocken Thronsaals mit Feuerschwert-Duell, das den ersten Roman Da'Jin'Zat zierte.

Der eigentliche Roman kommt mit 316 Seiten daher; hinzu kommen noch großzügige Extras wie eine graustufige Aventurien-Karte, ein Glossar aventurischer Begriffe (und elfischer Zauber) sowie ein ausführliches Interview mit der Autorin über die Entstehung des Buches. Ein ähnliches Interview, eine Leseprobe sowie ein Überlebens-Guide für Aventurien findet sich übrigens auch auf der Seite des Blitz-Verlages. Ach ja - und auch ich habe die Gelegenheit genutzt um zu einem schelmischen Interview zu bitten.

Insgesamt weiß das komplette Werk rein optisch und handwerklich voll zu gefallen. Auch das Lektorat von Carolina Möbis und Michael Fehrenschild hat gewohnt saubere Arbeit geleistet - Rechtschreibfehler oder grobe Brüche mit der aventurischen Hintergrundwelt sucht man vergebens. Bleibt aber die wichtigste Frage: Wie schneidet die eigentliche Geschichte ab?

Die Kritik

Als ich das erste Mal von diesem neuen Roman "Die Elfe vom Veitner Moor" hörte und erste Informationen darüber bekannt wurden, ging ich davon aus, es mit einem klassischen Detektiv-Roman zu tun zu haben. Eine Leiche wird gefunden, die Protagonisten beginnen mit den Ermittlungen, sammeln Indizien, vernehmen Zeugen, und können am Ende den Täter dingfest machen.

Wer mit diesen klassischen Tatort-Erwartungen an die Geschichte herangeht, könnte durchaus überrascht werden. Ja, es gibt eine Leiche als Aufhänger der Handlung. Ja, die Gardistin nimmt halb pflichtbewusst, halb von Langeweile und Neugierde getrieben die Ermittlungen auf, verhört Zeugen und sucht am Tatort nach Indizien. Doch dieser Teil des Buches nimmt gerade einmal das erste Viertel der Seiten ein.

Kaum sind Ayla und Saliniome aber aufgebrochen, um den Mörder dingfest zu machen, wandelt sich das Buch und beginnt munter zwischen den Genres zu mäandern: Reisebericht, Roadmovie, Verschwörungs-Thriller, Suspense-Krimi, Dungeon-Abenteuer, Underdog-Kampftrainings-Handbuch... zwischenzeitlich hatte ich das Gefühl mehrere Bücher auf einmal in der Hand zu haben.

Funktioniert dieser Mischmasch? Zumindest in meinen Augen erstaunlich gut! Dadurch, dass man nie genau weiß, in welche Richtung die Geschichte nun abdriftet, bleibt die Lektüre spannend, und lädt den Leser zum Miträtseln ein. Viele Fragen werden im Laufe der Geschichte geklärt - doch die Autorin lässt auch bewusst so manche Antwort offen. Die genaue Identität des Drahtziehers und seine Beweggründe werden lediglich angedeutet, viele Lücken in der Geschichte muss man mit seiner eigenen Fantasie schließen. Das mag einerseits für manche Leser frustrierend sein, entwickelt aber auch einen eigenen Reiz. Insbesondere für ein nicht-kanonisches Buch ist die Auslassung unnötiger Setzungen sicherlich sinnvoll. Von daher: Ich habe die Geschichte gespannt verfolgt und genossen - auch wenn ich sie bis jetzt noch nicht vollständig verstanden habe!

Stilistisch weiß der Schreibstil der Autorin durchaus zu gefallen: Das Buch liest sich sehr flüssig und die Dialoge wirken authentisch (wenn sie auch manchmal einen Hauch aventurischer hätten ausfallen dürfen). Als jemand, der aktuell nur noch vor dem Einschlafen zum Lesen kommt, und dabei selten weniger als ein paar Seiten schafft, hat es "die Elfe" geschafft mich länger an die Seiten zu fesseln als normal. Nur noch ein Kapitel lesen. Und dann noch eins. Und noch eins. Das schaffen aktuell nicht viele Bücher!

Für Aventurien-Kenner ist das Buch nicht uneingeschränkt zu empfehlen: Ja, es fühlt sich an wie Aventurien (mehr als zum Beispiel die eher generisch wirkenden WinterZeit-Hörspiele). Nein, es gibt keine groben Brüche mit dem Aventurien, wie wir es kennen und lieben. Andererseits hat es aber als nicht-kanonischer Roman das Problem, dass die Geschichte keinerlei Meta-Plot-Relevanz hat oder haben kann. Egal was Hauptfrau Ayla bei ihren Recherchen auch entdecken mag, egal wie groß die aufgedeckte Verschwörung auch sein mag - niemals wird im "offiziellen" Aventurien eine Auswirkung der beschriebenen, lokalpolitisch durchaus relevanten Ereignisse zu spüren sein, nie ein Artikel im Aventurischen Boten oder der Havena-Fanfare zu lesen sein. Ob einen Aventurien-Fan sowas stört oder nicht, muss jeder für sich entscheiden.

Die beiden Protagonistinnen Ayla und Saliniome gewinnen sicherlich keine sonderlichen Kreativitäts-Blumentöpfe: Eine von ihrem Job genervte Hauptfrau der Stadtgarde, die eigentlich nur wieder zurück nach Khunchom möchte, und eine unter Menschen lebende Elfe, die nach einem Schicksalsschlag bei Bauern lebt, kommen doch etwas klischeehaft daher. Auch ihre Entwicklung im Laufe der Geschichte ist überschaubar: Ayla überwindet ihre desillusionierte Albernia-Abscheu, und auch die anfangs etwas verschlossene Elfe wird zum Ende etwas weltoffener sein. Andererseits erlaubt gerade diese fehlende Tiefgründigkeit einen sehr guten Zugang zu den Charakteren, und ermöglicht es uns so, uns voll in sie hinein zu versetzen und mit ihnen mitzufiebern.

Schade fand ich, dass Saliniome insgesamt wenig wie eine Elfe und mehr wie eine spitzohrige Menschenfrau daherkommt. Klar, einige Lieder, Zauber und Phrasen werden pflichtgemäß abgespult, und die Elfe kann öfter durch ihr Geschick oder ihre Reitkunst glänzen. Vom Zauber, der Kultur und der Mystik des Elfenvolkes kommt aber für meinen Geschmack zu wenig rüber. Nicht dass das nicht zum Charakter, wie er in der Geschichte geschrieben steht, passen würde: Direkt bei der Vorstellung erklärt Saliniome, dass sie den Großteil ihres Lebens unter Menschen verbracht hat. Insgesamt sehe ich ihr Badoc-Sein aber als vertane Chance, etwas mehr Reibung und Kultur-Clash zwischen den beiden Protagonistinnen aufzubauen.

Die Nebencharaktere kommen meist nur sehr episodenhaft daher: Ein Gardist hier, eine Bauernfamilie da, zwei Kinder in einer Gefängniszelle dort. Viel Raum für Charakterzeichnung bleibt dabei selten. Schließlich sind wir nur auf der Durchreise und müssen schleunigst weiter, um den Mörder der Elfe dingfest zu machen. Lediglich zwei oder drei Charaktere erhalten mehr Buchseiten zugestanden: Der junge, attraktive Rashim, der Aylas Verlangen nach der Heimat verkörpert; der hilfsbereite Bauer Connor, der ihnen den Weg zu einem wichtigen Schauplatz der Geschichte weist; und der alternde Fallensteller Gereon, der im dritten Akt die Vorbereitung auf den Endkampf repräsentiert. Sie alle kommen glaubhaft und lebendig daher, und füllen das sonst eher trostlose Albernia mit willkommenen Leben.

Was einigen Charakteren für meinen Geschmack an Tiefe fehlte, machen sie aber durch eine andere sehr wichtige Eigenschaft mehr als wett: Alle Personen im Buch kommen sehr sympathisch rüber (abgesehen von den wenigen hassenswerten Gestalten). Die Chemie zwischen Ayla und Saliniome stimmt. Es macht Spaß, ihnen auf ihre Abenteuer zu folgen. Man fiebert mit, wenn sie sich in eine ausweglose Situation manövriert haben, und freut sich, wenn sie die Widrigkeiten der Geschichte gemeistert haben. Und wenn man dann am Ende des Buches die Stunde des Abschieds naht, möchte man doch wissen, wie die Geschichte der beiden Frauen weitergehen mag. Und das ist doch eines der schönsten Komplimente für einen Roman!

Das Fazit

Die Elfe vom Veitner Moor ist ein sehr angenehm zu lesendes Buch mit sympathischen Charakteren, einer spannenden Handlung und einem überraschend epischen Finale. Einzelne Logiklücken und nicht aufgeklärte Fragen schafften es zumindest bei mir nicht, den Lesespaß zu mindern. Wer einen kurzweiligen, etwas anderen Krimi lesen möchte, der zufällig in Aventurien spielt, wer auf Kanonizität verzichten kann und nicht jedes Detail der Geschichte auf die Plausibilitäts-Goldwaage legen muss, der ist bei Katja Angenents Roman sehr gut aufgehoben. Und auch für DSA-unkundige Leser (ja, auch sowas soll es geben!) ist die Elfe ein schöner Einstieg in unsere liebste alternative Realität.

Bleibt also zu hoffen, dass möglichst viele Leser auf diesen Nischenroman in unserem Nischenhobby aufmerksam werden und der gelungenen DSA-Rocket-Books-Fanpro-Reihe eine Chance geben. Ich jedenfalls habe den literarischen Besuch im Veitner Moor keine Sekunde bereut.

Der Roman "Die Elfe im Veitner Moor" von Katja Angenent ist in der Reihe Rocket Books erschienen und sowohl beim Blitz-Verlag, bei Fanpro als auch in allen Buchhandlungen und bei einschlägigen Online-Händern für 14,95 € erhältlich.

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