Roman-Rezension: Blutnacht

Sich mit einem Horas im alten Bosparan anzulegen, scheint keine gute Idee zu sein! Das findet jedenfalls die Familie der Castesier schnell heraus, als sie in der legendären Blutnacht brutal ausgelöscht wird. Lediglich drei Kinder der Familie überleben das Massaker. Der Schelm hat sich den ersten Roman der sechsteiligen Romanreihe von Daniel Jödemann angesehen, und berichtet Euch, wie es ihm in den Dunklen Zeiten gefallen hat.

Die Romanreihe

Als guteingeweihter DSA-Fan, der stets über alle Neuigkeiten und Produktankündigungen informiert ist, hat man oft das Gefühl, dass es keine großen Überraschungen in der DSA-Veröffentlichungen mehr gibt. Eine Regionalspielhilfe hier, eine Aventurische Magie X+1 da, ein Crowdfunding dort. Nett, aber nichts wirklich Neues. Sicher, das eine oder andere Abenteuer kommt immer wieder unerwartet hervorgesprungen, aber viel mehr Überraschung hält der Ulisses-Verlagsplan für den aufmerksamen Beobachter nicht bereit. Sollte man meinen.

Und dann sitzt man in der Keynote vom Kaiser-Raul-Konvent und bekommt auf einmal ein Produkt um die Ohren geknallt, das man so gar nicht auf dem Radar hatte: Daniel Jödemann hat mal wieder für DSA geschrieben. Für die DSA-Romanreihe, um die es in den letzten Jahren etwas still geworden war, und deren Ende viele treue Fans schon befürchtet hatten. Und dann noch für die Dunklen Zeiten, in denen er sich seit den beiden Romanen Die letzte Kaiserin und Der erste Kaiser bestens auskennen dürfte. Und zwar nicht nur einen Roman, oder zwei, sondern gleich ein halbes Dutzend! Nicht kleckern, sondern klotzen, lautet die Devise!

Jaaaaa, wird da der eine von Galotta-, Rabenmund- und Agrimoth-Splitter-Romanreihen vorbelastete Leser anmerken, aber so ein ambitioniertes Projekt wird doch niemals zu Ende gebracht werden! Doch, sagt Ulisses, und verspricht, dass fast alle sechs Romane bereits mehr oder weniger fertig geschrieben sind und nur noch die üblichen Lektorats- und Layout-Schritte über sich ergehen lassen müssen. Und um den staunenden KRK-Besuchern zu zeigen, dass dies nicht nur Lippenbekenntnisse sind, wurde direkt der erste Roman mit dem Titel Blutnacht auf dem Kaiser-Raul-Konvent verkauft!

Das Cover des ersten Romans in düsterer Pracht

Wenn alles gut geht, wird der erste Roman im Juni in den öffentlichen Verkauf gehen, die fünf Nachfolgebände Schwarze Schwingen, Stadt der 100 Türme, Dunkles Verlangen, Blutsbande und Reich der Toten sollen im Zwei-Monats-Abstand folgen.

Alle 6 Romane der Blut der Castesier Reihe

Grund genug, sich den Auftakt der Blut der Castesier Reihe einmal zu Gemüte zu führen, und zu sehen, ob sich eine derart lange Reise durch die Dunklen Zeiten für den Leser lohnt.

Die Geschichte

Wir schreiben das Jahr 1 der Herrschaft von Yarum-Horas, dem jungen Herrscher von Bosparan, der sich somit, anders als die meisten seiner Vorgänger, bereits über ein Jahr auf dem Adlerthron halten konnte. Die erste Dämonenschlacht liegt fast ein Jahrhundert zurück, bis zum Fall Bosparans sind es noch 477 Jahre. Yarum fürchtet Verräter an seinem Hof, und so werden wir Zeuge, wie er auf Anraten seiner Kanzlerin die Beseitigung der Familie der Castesier befielt. Was die Castesier getan haben sollen, erfahren wir nicht - wohl aber, was mit denjenigen geschieht, die das Vertrauen des Horas verlieren: Brutal metzeln die Sonnenlegionäre alle Mitglieder der Familie nieder, eine Flucht ist praktisch aussichtslos.

Und doch sterben nicht alle Castesier in dieser Blutnacht: Dem tulamidischen Sklaven Umbra gelingt es mit Hilfe seiner Kenntnisse als Feqz-Gläubiger, die beiden Zwillinge Sabella und Valerius aus dem Anwesen der Familie zu schaffen. Auf der Flucht wird Sabella von ihrem Bruder getrennt, Umbra und Valerius fliehen allein aus Bosparan.

Irgendwo außerhalb Bosparans, in der Villa der Familie der Arponier, ist die kleine Livia, ebenfalls eine Tochter der Castesier, bei der sterbenskranken Lucia zu Besuch, als die Legionäre des Horas das Anwesen stürmen und die Herausgabe der Castesierin fordern. Lucias Mutter Fastidia fällt eine schwere Entscheidung, und gibt ihre eigene, ohnehin sterbende Tochter als Livia aus. So überlebt die echte Livia unter dem Namen Lucia weiter.

Vierzehn Jahre später sind aus den drei überlebenden Castesier-Kindern junge Erwachsene geworden, die das Schicksal in verschiedene Ecken des bosparanischen Reichs verteilt hat: Lucia hat ihre Offiziersausbildung in Arivor hinter sich gebracht, und wird in die berüchtigte 7. Legion, die Coverna versetzt, die sich schon bald auf einem Feldzug nach Meridiana befindet, um das tulamidische Elem einzunehmen. Im rauhen Soldatenalltag hofft Lucia darauf, sich endlich als Offizierin bewähren zu können.

Valerius schlägt sich als Dieb in Puninum mehr schlecht als recht durch's Leben, und gerät beim Traum vom schnellen Geld in den Dunstkreis einer Diebesbande um den Tavernenbesitzer Tacitus, der anscheinend auch nicht vor Mord zurückschreckt, um seine Ziele zu erreichen. Ehe sich Valerius versieht, muss er sich zwischen seinem Gewissen und dem vermeintlich schnellen Geld entscheiden.

Sabella, die nach der Trennung von ihrem Bruder in einem Waisenhaus gelandet war, wurde dort vom Nekromanten Andronicus entdeckt, dem sie seitdem als Studiosa dient und mit dem sie von Ort zu Ort reist, wenn seine Alkoholsucht eine schnelle Abreise empfehlenswert erscheinen lässt. Als sie endlich einen Platz an der Akademie in Puninum finden, hofft Sabella, endlich ihre Prüfung zum Adeptus antreten zu können - doch ihr Lehrmeister hat nicht vor sie gehen zu lassen. So studiert Sabella fleißig weiter die dunkle Magie,  um sie dereinst zu ihren Zwecken einsetzen zu können...

Das Buch

Blutnacht kommt, wie alle DSA5-Romane, im DIN A5-Taschenbuch-Format mit braunem Softcover-Einband daher und ist, einschließlich der großzügigen Anhänge, 352 Seiten stark. Das Titelbild, gezeichnet von Dagmara Matuszak, zeigt eine auf dem Boden kniende, in ärmliche Kleidung gehüllte Frau (vermutlich Sabella), die mit Kreide ein Heptagramm (Pentagramm? Hexagramm?) auf den Boden malt, während im Hintergrund ein Magier mit seinem Zauberstab hantiert. Das Bild ist insgesamt sehr dunkel gehalten, aber gerade dadurch ausgesprochen stimmungsvoll, reden wir hier doch immerhin von einem Roman aus den - hier wörtlich zu nehmenden - Dunklen Zeiten. Wer schon einen Blick auf die anderen Titelbilder werfen möchte, kann dies ebenfalls bereits tun, da Ulisses alle sechs Bilder auf der Das Schwarze Auge Facebook-Seite veröffentlicht hat.

Die vordere Innenseite des Klappbroschur-Einbands wird von einer neuen, vom Autor höchstpersönlich gezeichneten Karte der Dunklen Zeiten geziert, die allerdings aufgrund der sehr dunklen schwarz-weißen Darstellung nicht sonderlich lesbar daherkommt. Da wäre eine farbige Karte sehr viel sinnvoller gewesen, insbesondere da die ebenfalls vorhandenen Werbeanzeigen für Aventuria und DSA5 bereits vollfarbig daherkommen und ein Farbdruck somit nichtmal teurer gewesen wäre.

Der eigentliche Roman wird großzügig von einem kurzen Einleitungstext zu den Dunklen Zeiten sowie einem sehr ausführlichen 12-seitigen Anhang umgeben, in dem sich ein Glossar der Zeitrechnung, wichtigsten Gottheiten, militärischen Einheiten und sonstiger Begriffe aus den Dunklen Zeiten befindet. Auch wer die großartige, wenn auch leider vergriffene und nur noch zu Mondpreisen auf ebay erhältliche Box Die Dunklen Zeiten nicht sein Eigen nennt, sollte Dank der luxuriösen Hilfestellungen kein Problem haben, den teilweise sehr häufig auftretenden Fachbegriffen folgen zu können. Einzig ein Personenverzeichnis hätte ich mir ob der doch hohen Dichte an auftretenden Personen dringend gewünscht.

Der Handlung an sich ist anzumerken, dass Daniel Jödemann ein erfahrener Autor ist, der seinen Auftaktroman minutiös geplant hat: Alle drei Protagonisten durchleben im Verlauf des Buches eine durch die äußeren Umstände getriebene Entwicklung, die sowohl sie selbst als auch den Leser vor so manche moralische Entscheidung stellt. Soll Sabella ihr gelerntes schwarzmagisches Wissen einsetzen, um den fiesen Adelsspross Acinus in die Schranken zu weisen? Soll Valerius sich zu seiner jungen Geliebten Ariana bekennen und für sie in den Dienst der skrupellosen Verbrecherorganisation treten? Soll Lucia sich dem sie offensichtlich liebenden Marcellus anvertrauen, oder lieber ins Bett des Tribuns Flavius springen, um ihre Karriere zu fördern?

Diese, und noch viele weitere Dilemmata sorgen für eine hohe Spannungsdichte - und für zahllose Cliffhanger, da jedes Kapitel sich stets nur mit einem der drei Protagonisten beschäftigt, und danach umbarmherzig zum nächsten Handlungsstrang gesprungen wird. Oftmals habe ich mich beim Lesen dabei ertappt, dem aktuellen Handlungsstrang viel lieber weiter folgen zu wollen, statt zum vermeintlich langweiligen nächsten Handlungsstrang zu springen, nur um drei Seiten später erstaunt festzustellen, dass man nun den neuen Handlungsstrang nicht enden lassen möchte. Übrigens ist es recht einfach, die jeweiligen Kapitel der drei Protagonisten wiederzufinden, ist doch jeder Kapitelkopf mit einer passenden Illustration (Fuchskopf für Valerius, Schwingen für Sabella, Waffen und Helm für Lucia) versehen. Ein Kompliment an die Macher für dieses nette und praktische Detail!

Wenn auf Seite 339 dann das vorläufige Ende des Auftaktromans erreicht ist, hat man drei sehr spannende und atmosphärische Schicksale in den Dunklen Zeiten verfolgt, hat plastischen Charakteren bei "authentisch archaisch" klingenden Gesprächen zugehört, und sogar ein wenig mit den leidenden Charakteren mitgefiebert. Zahlreiche Nebenfiguren werden eingeführt, von denen insbesondere die beiden von Andronicus beschworenen Skelette Derosus und Flaccus lobend erwähnt werden sollen, die zwar die meiste Zeit nur stur in die Gegend starrend herumstehen, aber dem Leser dennoch irgendwie ans Herz wachsen. Und zu guter Letzt lässt Autor Jödemann genug interessante Plotstränge offen zurück, um daran hoffentlich in den nächsten Romanen anknüpfen zu können. Wer ist der mysteriöse Procurator, der irgendwas mit der Ausrottung der Castesier zu tun hatte? Was ist mit den verschwundenen Kriegsgefangenen im Trosslager geschehen? Was hat der Dämon beim gescheiterten Beschwörungsritual mit Sabella gemacht? Diese und noch viel mehr Fragen warten auf eine Beantwortung. Hoffentlich in nicht allzu ferner Zukunft!

Das Fazit

Mit Blutnacht hat Daniel Jödemann einen handwerklich tadellosen, inhaltlich sehr spannenden und abwechslungsreichen Auftaktroman abgeliefert, der viel Lust auf mehr macht. Die Protagonisten kommen glaubhaft daher, durchleben spannende Charakterentwicklungen und stammen aus drei so unterschiedlichen Professionen, dass für genügend Abwechslung gesorgt ist. Verbunden mit einem guten Lektorat (mir ist beim Lesen nicht ein Fehler aufgefallen) und der luxuriösen Ausstattung, hat das Blut der Castesier das Potential, zu einem epischen Romanzyklus zu werden, der hoffentlich viele Leser findet. Wer auch nur im Entferntesten Interesse an den Dunklen Zeiten hat, und sich nicht von den zu erwartenden ca. 2000 Seiten Gesamtumfang der Romanreihe schrecken lässt, sollte zugreifen. Ich jedenfalls freue mich schon sehr auf den Nachfolgeband Schwarze Schwingen, der hoffentlich schon bald in meinem Bücherregal landen wird.

Kommentare